Die Wohnung in der Lutherstraße
1960 sind meine Eltern, meine Schwes-
ter, ein Onkel und unsere Oma in die
Lutherstraße 24*) gezogen. Zunächst
wohnten wir in der Wohnung im zweiten
Stock mit Blickrichtung Frenssenstraße.
In dieser Wohnung lagen alle Zimmer an
einem langen Flur, dessen Fenster zur
Hofseite ausgerichtet waren.
Als in der Etage tiefer eine Wohnung mit
Blick auf die Lutherstraße/Goethestraße
frei wurde, sind wir - vermutlich der Heiz-
kosten wegen - hinuntergezogen.
Für mich als Kind war die Lage der
Wohnung ideal:
•
Körnerschule:
nächste Kreuzung,
Lutherstraße /Körnerstraße,
Fußweg 5 Minuten.
•
Spielplatz:
nächste Kreuzung,
Frenssenstraße /Goethestraße,
Fußweg 1 Minute.
•
Konfirmandenunterricht
(in der neuen Michaeliskirche):
nächste Kreuzung,
Goethestraße /Eichendorffstraße,
Fußweg 5 Minuten.
Kaufmann Wilms unten im Haus verkauf-
te alles von der Sicherheitsnadel über
Hygieneartikel und Konservendosen bis
zu Frischmilch, damals noch gezogen
aus der großen Milchkanne mittels He-
belpumpe. Später eröffnete dort der
Obst- und Gemüsehandel Dietzel. Im
Uhrzeigersinn gesehen gegenüber war
die Bäckerei Schnibbe, wo später eine
Gaststätte eröffnete, dann diagonal noch
ein Kaufmann, ähnlich wie Wilms und auf
der gegenüberliegenden Seite ein Fisch-
laden, in dem dann später eine Reini-
gung war.
Bis 1969 habe ich bei meinen Eltern ge-
wohnt. Danach bin ich aus beruflichen
Gründen nach Bremen gezogen, war
dann aber immer noch an vielen Wo-
chenenden bei meinen Eltern, später
auch mit unseren Kindern, die wir hin-
brachten oder abholten.
An die Nachbarn im Haus habe ich teil-
weise noch Erinnerungen, so wie an die,
die neben dem Trockenboden in einer
Wohnung lebten, die einen recht provi-
sorischen Eindruck machte. Dort wurde
auch ein Baby geboren. Leider sprachen
die Eltern kein Deutsch und wir sprachen
nicht ihre Sprache. Nebenan wurde
ebenfalls ein Baby geboren. Über uns
wohnte ein allein stehender Herr und im
Parterre lebte eine Familie mit einem
Sohn, der im Rollstuhl saß. Hin und wie-
der, wenn seine Mutter ihn nach drau-
ßen schob, hatten wir Kontakt mit ihm.
Meine Eltern haben zwar noch mit Kohle
geheizt, aber sie haben damals auf ei-
gene Kosten eine Etagen-Kohleheizung
eingebaut, die mir aber immer etwas
suspekt war. Sie heizte gut und mittels
Pumpe wurde das Wasser durch die
endlosen Rohre gepumpt. Und hin und
wieder, wenn es zu heiß wurde, klopfte
es ...
Wenn ich richtig informiert bin, waren die
Wohnungen in diesem Haus schon vor
dem Krieg mit Etagenheizungen ausge-
rüstet gewesen. Die Podeste, auf denen
die Heizkörper einmal gestanden hatten,
waren noch vorhanden. In unserem
Wohnzimmer war so ein Podest - aber
nicht vor dem Fenster, sondern neben
der Tür. Es heißt, das ganze Material sei
im Krieg herausgerissen und einge-
schmolzen worden, weil der Rüstungsin-
dustrie die Rohstoffe für die Waffenpro-
duktuon ausgingen. Das Badezimmer
war jedenfalls groß genug für einen
Heizkessel.
Wo war denn eigentlich
noch der Schuster?
Gegenüber die Kaffeerösterei?
Es gab ja in der ganzen Lutherstraße ei-
gentlich an jeder Ecke ein Geschäft. So
war an der Ecke zur Potsdamer Straße
ein Musikgeschäft. In der Nähe der Kör-
nerschule befand sich ein kleines Ge-
schäft mit Süßigkeiten, das noch lange
als Kiosk betrieben wurde.
Eigentlich ist es schade, dass man da-
mals noch nicht die Möglichkeit hatte -
und auch gar nicht das Interesse - alles
im Foto festzuhalten. Aber wer hätte
auch schon damit gerechnet, dass all die
kleinen Geschäfte von den Discountern
überrollt werden würden?
© Brunhild Mechnik
*) heute Goethestraße 60