Nicht dem Verfall zusehen
Die Idee ist so simpel wie erfolgver-
sprechend. Hauseigentümer, die für die
Sanierung ihrer verwahrlosten Immobi-
lien unter derzeitigen Marktbedingungen
keine Finanzierung hinbekommen, ver-
bünden sich mit Raumsuchenden, die
die Rolle von Hauswächtern überneh-
men. Per Gestattungsvertrag können sie
für eine gewisse Zeit mietfrei das Erdge-
schoss nutzen und verpflichten sich im
Gegenzug dazu, das Gebäude zu pfle-
gen und regelmäßig nach dem Rechten
zu sehen.
In Leipzig, Magdeburg, Chemnitz und
Görlitz sind mit diesem Prinzip bereits
gute Erfahrungen gemacht worden. „Die
Situation auf schwachen Wohnungsmär-
kten ist oftmals festgefahren“, sagt der
Staatssekretär im Verkehrsministerium,
Dr. Engelbert Lütke Daldrup. Auf der ei-
nen Seite stehen Eigentümer, die mit ihr-
er unsanierten und leerstehenden Immo-
bilie nichts anzufangen wissen. Auf der
anderen Seite gibt es Raumsuchende,
die für die Umsetzung ihrer Projekte viel,
aber günstigen Platz benötigen. Was
liegt näher, als diese beiden Seiten zu-
sammenzubringen.“
ESG will Mittler sein
In Bremerhaven möchte das die Eigen-
tümerstandortgemeinschaft (ESG) Lehe
übernehmen, die schon vor einem Jahr
für diese Idee geworben hat. „Leider
ohne Resonanz“, sagt ESG-Vorsitzender
Hans-Richard Wenzel. Das mag auch
daran liegen, dass die meisten Eigen-
tümer von infrage kommenden Häusern
gar nicht in Bremerhaven wohnen. Nun
hat die ESG noch einmal einen Anlauf
unternommen, die Leute direkt anzu-
schreiben. „Wir möchten die Eigentümer
erreichen, wenn die Verwahrlosung noch
nicht so weit fortgeschritten ist.“
„Das Grundprinzip lautet Hauserhalt
durch Nutzung“, sagt ESG-Aktivist Heiko
Janßen. „Leerstände beeinflussen die
Lebensqualität im Wohnumfeld.“ Eine
temporäre Nutzung sei deswegen alle-
mal besser, als dem Haus beim Verfall
zuzusehen. Dabei soll es nicht um
Wohnnutzung gehen, erläutert Janßen,
denn es sei keineswegs beabsichtigt, der
Immobilienbranche ins Handwerk zu pfu-
schen. Zielgruppe seien vielmehr Krea-
tive aus den Bereichen Kunst, Kultur und
Gewerbe, die Ateliers, Arbeits- und Ver-
anstaltungsräume suchen. Auch soziale
Vereine oder Existenzgründe können
sich angesprochen fühlen.
Geringe Finanzausstattung können die
Nutzer mit Eigenleistung und Engage-
ment für das Projekt wettmachen. Die
Eigentümer würden dafür von Unter-
haltskosten und der Gefahr entlastet,
dass ihr Haus komplett verfällt. Eignen
für das Projekt würden sich nach Auffas-
sung der ESG zum Beispiel das stattli-
che Eckhaus in der Hafenstraße 64 und
ein Gebäude in der Rickmersstraße, in
dem früher „Chico’s Place“ unterge-
bracht war. Beide Häuser stehen leer
und sind bereits von Plünderern heimge-
sucht worden. Beide gehören auswärti-
gen Eigentümern.
Nordsee-Zeitung vom 29.03.2011